Luzern, 7 Jan 2021
Offener Brief für den Erhalt der Soldatenstube «Eichwäldli» am Murmattweg 2 Luzern
«Gemeinschaft» – nicht nur in der Coronakrise ein wohltuender Wertsteigerungsfaktor!
Wenn eine Liegenschaft oder gar ein Strassenzug zur Debatte stehen, gehen die Wogen hoch. Kein Wunder, denn es geht um Lebensraum. Ein Gut, das frei gestaltbar immer knapper und daher wertvoller wird. Seine Nutzung weckt bei den Beteiligten unterschiedliche Begehren. Dass bei einer solchen Debatte Interessenkonflikte nicht zwangsläufig zu Verdrängung führen müssen, zeigt das Beispiel Industriestrasse Luzern.
2012 wollte die Stadt Luzern als Grundstückbesitzerin das Areal der Generalunternehmung «Allreal» verkaufen. Mittels Volksinitiative von Seiten der «Interessengemeinschaft Industrie- strasse» für eine Abgabe des Areals an gemeinnützige Wohnbauträgerinnen konnte es der Spekulation entzogen werden. Die Ideen und Anliegen der Initiant*innen wurden und werden auch künftig ins jurierte Projekt «Mon Oncle» einbezogen.
Dieses «Mitwirken und Mitentscheiden» hat auf dem Industriestrassen-Areal hervorragend funk- tioniert und steht als Eckpfeiler der dortigen Erfolgsgeschichte. Weshalb wird dieser verbin- dungsschaffenden Methode knapp achthundert Meter weiter westlich am Murmattweg 2 von der Stadt so wenig Stellenwert zugesprochen?
Die Meinungen scheinen zementiert und ein Austausch zwischen den Parteien unmöglich – im wahrsten Sinne des Wortes herrscht Eiszeit. Die Stadt Luzern als Eigentümerin der Liegenschaft ist nicht mehr gewillt, mit den Bewohnenden – medial bekannt als «Familie Eichwäldli» – die Ver- längerung der Zwischennutzung weiter zu verhandeln. Sie lässt den Vertrag per Ende Januar 2021 auslaufen. Wir von der IG Industriestrasse bedauern diesen Entscheid zutiefst und hoffen auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen, damit eine allfällige Eskalation verhindert werden kann.
Die Stadt Luzern beruft sich dabei stets auf ein von ihnen selbst in Auftrag gegebenes Gutachten, welches besagt, dass das Haus einsturzgefährdet sei und es demnach keine andere bezahlbare Möglichkeit als den Abbruch gäbe. Dies obschon in einer weiteren Studie ein Massnahmenkatalog vorgestellt wurde, wie das Haus zumindest für die nächsten 10 Jahre bewohnbar gemacht werden kann. Dieser wurde mittlerweile auch zum grössten Teil umgesetzt.
Es macht den Anschein, dass die Stadt Luzern die Statik des Hauses als Vorwand nimmt, um den Mehraufwand einer kleineren Sanierung und zur Rettung von bezahlbarem Wohnraum nicht auf sich nehmen zu müssen. Eine Übernahme des Hauses durch die Bewohner*innenschaft im Bau- recht wurde zudem mit der Begründung abgelehnt, die Verantwortung über die Sicherheit könne nicht an eine Wohnbaugenossenschaft abgegeben werden. Dies erscheint uns juristisch sehr fragwürdig, geschah doch ebendies mit den Gebäuden an der Industriestrasse.
Die Gemeinschaft «Familie Eichwäldli» überzeugt durch ihr Engagement und ihre Offenheit, durch ihre Innovation und Improvisation. Kreativität trifft auf Virtuosität, Experimentierfreude auf Lebenslust – kurzum, Leben findet Stadt. Dies wird sowohl im Quartier mittels aktiver Teilnahme, als auch weit über die Quartiergrenzen hinaus geschätzt! Eine gut funktionierende Gemeinschaft ist durch ihr Handeln Vorbild für eine zukünftige, nachhaltige, gemeinschaftliche Quartiers- und Stadtentwicklung, wie wir sie auch an der Industriestrasse anstreben. Nicht nur in der derzeitigen Krise sehen wir dies als elementaren Faktor um der Profitmaximierung und Vereinzelung entgegen zu wirken.
Die IG Industriestrasse zeigt sich solidarisch mit der «Familie Eichwäldli» und ihren Anliegen. Sie hat innerhalb kürzester Zeit das Quartier attraktiver gestaltet und wird es weiterhin tun, sofern dort die städtische Trumpfkarte – die Möglichkeit des „Mitwirkens und Mitbestimmens“ – nicht ver- spielt wird. Es wäre nicht nur jammerschade um den als erhaltenswert eingestuften Meili-Bau «Soldatenstube», sondern auch um die Gemeinschaft, die sich dort tagtäglich für ihre Ideale stark macht und diese lebt.
In diesem Sinne: «Geschätzte Stadträtin Frau Manuela Jost und geschätztes Baudepartement, wir zählen auf euch!»